Magdeburger Volksstimme, 31.07.02
Von Parteiparolen und Blumenkindern
von F.-René Braune
Unterzeile: Die Sonne brennt mit freundlicher Unbarmherzigkeit auf die
Zentrale der Werkleitzgesellschaft in Tornitz. Männer und Frauen in kurzen
Hosen und T-Shirts wimmeln durcheinander, der eine sucht Bindfäden, die
andere Kopfhörer, jemand fragt nach einer Leiter. Die Bilder sind die
gleichen wie vor zwei Jahren, wenn eine Werkleitz-Biennale kurz vor der
Eröffnung steht. Heute beginnt die fünfte.
Magdeburg. Medienkunst von 100 Künstlern aus rund 20 Ländern bis zum 4.
August: Hinter diesem relativ banalen Satz verbirgt sich ein Entdeckungs-
und Interpretations-Kosmos, der vom Besucher vor allem zwei Eigenschaften
verlangt: Neugier und Offenheit. Denn Werkleitz heißt auch, sich vom
klassisch-konservativen Kunstbegriff (was immer das sein mag) zu trennen.
Sich mit Ausdrucksmöglichkeiten anzufreunden - und ihnen möglichst etwas
abzugewinnen, die fernab von Gemälden, Skulpturen und Sinfonien auf
neuzeitliche Wege der Erkenntnis führen wollen.
Eines der im wahrsten Sinn des Wortes offensichtlichsten Projekte stammt von
dem Berliner Künstlerpaar Martin Conrath und Marion Kreißler, denn ihr
"Modell Deutschland" wird an Straßenlaternen und anderen Masten in Werkleitz
und Tornitz zu sehen sein. Beide haben sich mit Wahlplakaten der 70er Jahre
beschäftigt mit bürgerlich-demokratischen und sozialistischen. "Unsere
Idee bestand darin", so Martin Conrath im Gespräch mit der Volksstimme,
"Ideologie auf ihren Wahlkampf-Kern zu reduzieren, um damit auch die
Inhaltslosigkeit von Parolen zu dokumentieren. Das Erstaunliche dabei ist
beispielsweise, dass sich an der Art und Weise bis heute nicht viel geändert
hat. Seit 30 Jahren wird mit Begriffen wie Deutschland, Zukunft, Arbeit,
Freiheit oder Leistung geworben. Alles wiederholt sich was bei Stoiber
heute als "Kompetenzteam" bezeichnet wird, hieß in den 70ern bei Barzel "das
bessere Team".
Bemerkenswert fanden wir auch, dass die Plakate der DDR meistens
fortschrittlicher waren, denn hier wurde sehr oft mit Fotomontagen
gearbeitet".
Für den Betrachter ist ein Blick auf die Plakate fast zwangsläufig mit einem
Schmunzeln verbunden unabhängig von der Himmelsrichtung. Mit einem
Telefonhörer am Ohr fordert Genscher "Leistung wählen. FDP die Liberalen".
Gleich daneben das Foto eines sozialistischen Kollektivs vor, während oder
nach der Arbeitsberatung:"Unsere Stärke unser Bündnis mit der
Arbeiterklasse" ist zu lesen. Offen hingegen bleibt, wer sich da mit der
Arbeiterklasse verbündet.
Kaum wiederzuerkennen ist der 30 Jahre jüngere "Kanzler für Deutschland".
Das Lächeln Helmut Kohls lässt die Vermutung aufkommen, dass er viel früher
von der Wende wusste, als er zugeben wollte. Ganz besonders hübsch sind zwei
Kinder, die mit einem Puzzle spielen mit vereinten Anstrengungen fügen sie
Hammer und Zirkel, vom Ährenkranz umsäumt, zusammen.
"Die Plakate werden immer paarweise aufgehängt", erklart Martin Conrath
weiter. "Vorderseite Ost, Rückseite West oder umgekehrt." So kann es denn
durchaus passieren, dass man zuerst "Freiheit statt Sozialismus" liest und
dann "Für Frieden und Sozialismus".
Besonders gefreut hat sich das Künstlerpaar übrigens darüber, dass es die in
Sachsen-Anhalt vertretenen Parteien mit der Beseitigung ihrer jüngsten
Wahlkampfspuren nicht so genau genommen haben dieser kleinen Schlamperei
ist es zu verdanken, dass auch noch eine "aktuelle" PDS-Kandidatin den
Gesamteindruck bereichert.
Die X. Weltfestspiele der Jugend der DDR und der restlichen Welt sind das
Thema einer Video-Installation, an der vier Künstlerinnen aus Kanada,
Brasilien, Indien und den USA beteiligt sind. Merle Kröger vom Kuratorium
der 5. Werkleitz Biennale erläutert: "Wir haben den Künstlerinnen Fotos von
diesen Weltfestspielen geschickt und sie gebeten, ihre Sicht auf das
Ereignis künstlerisch umzusetzen." Was zunächst recht abenteuerlich klingt, führt im Gespräch mit der in New
York lebenden US-Amerikanerin Shelly Silver zu erstaunlichen Erkenntnissen,
als sie ihre Eindrücke beschreibt: "Als ich die Fotos von jungen Menschen
auf den Straßen in Berlin gesehen hab", hat mich das an das Lebensgefühl der
Amerikaner in den 60er Jahren erinnert. Da war etwas von Aufbruchstimmung,
von jugendlichem Schwung und Elan. Plötzlich fiel mir auch der Name Angela
Davis wieder ein. Begriffe wie Flower-Power kamen mir in den Sinn, ich
fühlte mich ein bisschen an meine eigene Jugend erinnert. Und dann fiel mir
noch auf, dass die Leute auf den Fotos besser angezogen waren, als die
Amerikaner in den 60ern", ergänzt sie und kann sich ein Schmunzeln nicht
verkneifen. Ein ehrlich gemeintes, wie eine Nachfrage ergab, kein
ironisches.
Zum ersten Mal im Osten Deutschlands ist Madhusree Dutta, die von Bombay aus
den Weg nach Werkleitz angetreten hat. Auch die Inderin war von den
Weltfestspiel-Fotos beeindruckt: "Auf mich wirkte das alles wie die
Menschheits-Utopie von einer glücklichen Gesellschaft. Eine Utopie, die
immer wieder in verschiedenen Variationen auftaucht und die immer noch
besteht. Dieser Traum von einem unbeschwerten Miteinander wird
wahrscheinlich nie sterben." Nach ihren ersten Reiseeindrücken befragt,
zeigt auch die sympathische Inderin ein überaus freundliches Lächeln: "Ich
finde die Gegend hier sehr romantisch."
Die Brasilianerin Maria Thereza Alvez hat ein ganz bestimmtes Foto für ihren
Biennale-Beitrag ausgewählt es zeigt eine lachende junge Frau. Mit einer
brasilianischen Schauspielerin hat sie die Fotografierte gewissermaßen
nachgespielt, dem Foto mimisches Leben eingehaucht. "Eine spannende Arbeit",
erzählt die Künstlerin, die uns viel Spaß gemacht hat.""
Zu sehen sein werden all diese Arbeiten in Baucontainern, die auf einer
Wiese zwischen Tornitz und Werkleitz aufgebaut wurden eine Wahl, die nicht
zufällig ist, denn die Container sollen ein bisschen von der
"Kojen-Ästhetik" vermitteln, die auch 1973 in Berlin zu sehen und zu spüren
war.
Hervorragend auf das Biennale-Thema "Zugewinngemeinschaft" zugeschnitten ist
ein Projekt mit dem Titel "Wir waren die ersten", das man in einem
Nachbarzimmer des Tornitzer Heimatvereins findet. Sechs Frisörstühle (mit
Trockenhaube) stehen vor den großformatigen Porträts von türkischen
Gastarbeitern und deren Kindern. Entspannt im Stuhl sitzend, sieht man
seinem Gegenüber ins Gesicht und hört sich wahlweise in Deutsch oder
Türkisch dessen Lebensgeschichte an. Toleranz, Verständnis und
(Erkenntnis)-Zugewinn im besten Sinn des Wortes, einfach, weil man anderen,
völlig fremden Menschen zuhört. Werkleitz dürfte seinem Ruf als "documenta
des Ostens" auch in diesem Jahr gerecht werden. Wenn man sich darauf
einlässt. Das komplette Programm gibt's im Internet.
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