Telepolis, 09.08.02

Sachsen-Anhalt durch die Galaxis

von Maria Benning

Anfang August ging im 300-Seelen-Dörfchen Werkleitz Nahe Magdeburg die 5. Werkleitz-Biennale zu Ende. Fünf Tage lang hatten über 100 Medienkünstler Werke zum Thema "Zugewinngemeinschaft" ausgestellt. Organisator der Dokumenta des Ostens war das Medienzentrum Werkleitz-Gesellschaft.
Links und rechts der holprigen Allee, die ins Dörfchen Werkleitz führt, liegen riesige Kornfelder. Die nächstgrößere Ortschaft mit Bahnhof heißt Calbe. 10.000 Menschen leben hier, vor der Wende waren es noch 14.000. Viele Häuser stehen leer, einige sind schon verfallen. Hier, mitten in der Magdeburger Pampa, ließen sich Mitte der 90er Jahre begeisterte Medienkreative nieder. Mit Hilfe des Landes Sachsen Anhalt ist aus ihrem Club für Medienkunst inzwischen ein Unternehmen mit vier Festangestellten geworden - die Werkleitz-Gesellschaft. Aufbau Ost.
Alle zwei Jahre präsentieren die Medienschaffenden in Werkleitz eine mehrtätige Werkschau. Sachsen-Anhalt in die Galaxis - der Titel eines Theater-Videos von Micz Flor beschreibt zugleich die Atmosphäre dieser Biennale: Neue Medienkunst im alten DDR-Ambiente.
"Zugewinngemeinschaft" lautete der Titel der diesjährigen Veranstaltung. Der Begriff stammt aus dem Eherecht und bezeichnet eine Rechtsform, nach der alles das, was nach der Heirat erwirtschaftet wird, beiden Ehepartnern gehört. Indes: Viele der ausstellenden Künstler thematisierten eher Verlust- als Gewinngemeinschaften. So auch die feministische Dokumentarfilmerin Karin Jurschick. Mit dem Video "Danach hätte es schön sein müssen" zeichnet sie ein Portrait der Ehe ihrer Eltern. Eine Beziehung, die mit dem Selbstmord ihrer Mutter ein tragisches Ende fand.
Häufig kreisten die Beiträge um das Thema Einwanderer und Einheimische. Die besondere Beziehung von Migranten zum neuerworbenen Besitz etwa wird in dem Kurzfilm "Nachlass" thematisiert. Die kanadische Dokumentarfilmerin Robin Curtis erzählt von ihrer Großmutter, die 1898 aus der Ukraine nach Kanada auswanderte und nach ihrem Tod ein Haus voller skurriler Vorräte hinterließ - Berge von Geldbörsen, aberdutzende Haarkämmchen und immense Gurkenvorräte. Spektakulär sind die Bilder der "X. Weltfestspiele der Jugend": Der preußisch-korrekte SED-Oberapparatschik Erich Honnecker und die schöne schwarze Feministin Angela Davis sind darauf zu sehen. Auch das war einmal eine Zugewinngemeinschaft. 1973 in Berlin redeten beide dem Antikapitalismus das Wort. Heute muten die Bilder seltsam fotomontiert an.
Komisch folkloristisch nähert sich der Filmemacher Micz Flor dem Thema: In Screenings mit Gitarrenbegleitung verglich er die Figur des Ost-Winnetou mit seinem West-Kollegen. Spektakulär auch die 70er-Jahre-Wahlplakate von Martin Conrath und Marion Kreißler. Kontrastiert mit aktueller Wahlkampfwerbung belegen sie die denkwürdige Auswechselbarkeit der Begriffe Freiheit, Sozialismus und Demokratie.
Viele Biennale-Beiträge setzten sich mit Rassismus auseinander. Darunter auch der Dokumentarfilm "the truth lies in Rostock" von Mark Saunders (1993) sowie Rahim Shirmahds "18 Minuten Zuvilcourage" (1991), ein Film, der die Ermordung eines Asylbewerber im Tübinger Supermarkt Pfannkuch thematisiert. Ganz anders nähert sich Fassbinders Film "Whity" (1970) der Rassismus-Problematik: Das historisierende Plantagen-Melodrama handelt von der dekadenten Landbesitzerfamilie Nicholson und ihrem Mulattensklaven Whity. Alle Familienmitglieder bekunden abwechselnd sexuelles Interesse an Whity und bitten den Sklaven, den Familientyrannen umzubringen. Doch Whity genießt die Unterdrückung. In seltsam sado-masochistischer Verkehrung weigert er sich, den Weißen zu Dienste zu sein und erhält dadurch Macht über seine Unterdrücker. Einmal mehr verdeutlicht die subtile Sado-Maso-Thematik, wie schwierig es ist, die Gewinn- und Verlust-Bilanz von "Zugewinngemeinschaften" auszuloten.

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