taz Nr. 6817, 03/04.08.02
Brennpunkte der Apartheid
von Madeline Bernstroff
Unter dem Titel "Zugewinngemeinschaften" findet bei
Magdeburg die 5. Werkleitz-Biennale statt. Das
Medienkunst-Festival kreist um die Frage nach dem großen
allgemeinen Ausgrenzenden
Dunkelocker gepolsterte Stühle, Tapeten aus der Vorwendezeit,
ein Raum mit Bühne und Empore, dort zwei tragbare
tschechische 35-mm-Projektoren und ein Videobeam,
Holzverkleidungen und zwei kleine Wohnzimmerlämpchen, die
am Schnürchen ausgeknippst werden, wenn die Filme losgehen
im Gasthaus Zur Post in Tornitz, Sachsen-Anhalt.
THE ATTENDANT, der prachtvolle, überbordende Film von
Isaac Julien wird als Vorfilm zu Rainer Werner Fassbinders
WHITY von 1970 gezeigt: "Ich bitte um Verzeihung, Massa
..., ich danke ... Liebe mich, schlage mich ...".
Rot der Anzug von Günther Kaufmann, der den gar nicht so
dunkelhäutigen Sklaven, Liebhaber und Sohn der Familie
Nicholson spielt, weiß seine Handschuhe, wenn er dient und
bedient, weiß auch sein Anzug, wenn er zu seiner geliebten
Prostutierten geht und wenn er zusammengeschlagen wird vom
Salonmob, angeführt vom Quälmeister Fassbinder selbst, weiß
die Gesichter der Söhne, schwarz das Korsett des sich nach
Whity verzehrenden Mannes. Die Gesten in diesem Film, dessen
Cinemascope-Format wie ein Guckkasten auf der Leinwand
steht, werden langsam abgetastet, all die aufgeladenen
Unterwerfungen und Demütigungen, die hierarchischen
Zumutungen sickern unter die Haut.
In den beiden Filmen werde SM benutzt, um Rassebeziehungen
durchzuarbeiten, sagt der Filmwissenschaftler Marc Siegel und
macht auf charmante Weise deutlich, wie sehr die
"Zugewinngemeinschaft" - so der Titel der 5. Werkleitz-Biennale
- ihre mächtigen Verhältnisse in die Seelen und Körper senkt.
Whity genießt die Quälereien und leistet doch Widerstand.
Innen. Der lange bestehenden Weigerung der Filmkritik,
WHITY eine aktuelle Bedeutung zuzuschreiben, entgegnet
Branwen Okpako aus Nigeria in ihrer Videoinstallation. Ein
komplexer Dialog über heutige Zustände, z. B. über die
Arbeitsmöglichkeiten von schwarzen SchauspielerInnen in
hiesigen Theatern, verschachtelt sich mit der Rezeptionssituation
eines Films, der inzwischen älter ist als viele der BesucherInnen
der Werkleitz-Biennale.
Das Team der zwölf Kuratoren und Kuratorinnen hat in einem
langwierigen und immer wieder Hierarchien thematisierenden
Prozess ein Programm zusammengestellt, das die obsolete
Trennung von Kunst und timebased Media sowieso nicht
mitmacht, aber auch nicht die Unterscheidung von KuratorInnen
und Produzierenden und die aufgebauschten
Erfüllungsversprechen von homogenisierenden
Themenausstellungen weit hinter sich lässt. "Ein kuratorisches
Vorgehen ist ja an sich schon etwas Beknacktes", heißt es. Noch
dazu, wenn dieses Team westlich-weiß ist und sich als Aufgabe
die Frage nach dem großen allgemeinen Ausgrenzenden stellt.
Dem neuen Video WEISSES GHETTO von Kanak TV gelingt
die schwungvolle Persiflage auf Whiteness hierzulande. Im
monokulturellen Kölner Stadtteil Lindenthal, einem "Brennpunkt
unsichtbarer Apartheid", werden die Bewohner befragt, was sie
dazu tun, sich in einer "bunten" Gesellschaft zu integrieren.
Natürlich sind sie froh, so unter sich zu leben, sehen sich gern als
"Biodeutsche" und finden überhaupt: "Ich integriere mich sehr
toll." Universalismus zum Brüllen. Wahlkampfrelikte und
Wahlkampfaktualitäten der Leitkulturgesellschaft berühren sich:
Die 1:1-Reproduktionen von Wahlplakaten aus den
Siebzigerjahren wie z. B. das der Nationalen Front der DDR in
erwartungsgemäßer Braunstichigkeit, der Deutschlandaufruf von
und für Willy Brandt oder die Schwarzweißplakate der
Schillpartei mit dem Versprechen NEUE WEGE begleiten einen
durch die zwei Biennale-Dörfer und relativieren und historisieren
die jetzigen Wahlplakate und ihre Plattparolen. In der Rückschau
sind die Adressierungen an das große Allgemeine, an das
Wahlvolk Ost und das Wahlvolk West auf den ersten Blick
weniger unterschiedlich, als uns die Geschichtsschreibung
weismachen will und dann doch umso mehr.
Drei so genannte Gegenstände lieferten den Ausgangspunkt für
die Recherche. Zum einen ist es der Fassbinder-Film, dann die
Frage nach den offenen Grenzen und schließlich die
Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die 1973 in Ostberlin
stattfanden. "Leuchte roter Stern und gib mir Mut in jedem Herz,
in jedem Haus. Wir sind überall!" war die inoffizielle Hymne, und
sie klingt durch die schrabbelige Gitarrenbegleitung ein bisschen
wie die westdeutschen progressiven Kirchenlieder der jungen
Gemeinden. In der Werkleitz-Zeitung sind die damaligen
Festspiele so beschrieben: "Das war unser Festival, wir waren
keine Jubelperser mit Winkelementen.[...] Außerhalb der
offiziellen Veranstaltungen war die Atmosphäre sehr wichtig. Ein
bisschen Hippiefestivalgefühl, viele Leute mit Gitarren auf dem
Alexanderplatz - auf der Erde sitzen, abhängen, sich in den
Brunnen waschen. Dass nachts die Leute auf den Straßen
schlafen durften war ein Novum für die DDR. [...] Es
wurde kreuz und quer diskutiert, und besonders intensiv mit
Lateinamerika geküßt [...]". Selbst die Junge Union durfte
ihre Vertreter aus Westdeutschland schicken. Fünf Farben
symbolisierten die Blätter der Festivalblume und tauchten immer
wieder in der Gestaltung auf.
Die Biennale nimmt in der Containerinstallation "Lunch in the
Ashes" darauf Bezug: KünstlerInnen aus Indien, den USA,
Brasilien und Kanada befragen das damalige Großereignis auf
sein internationalistisches Potenzial, auf gesellschaftliche Utopien
und Dystopien und persönliche Rückbezüge. Sie finden sehr
verschiedene Antworten.
Die in Berlin lebende brasilianische Künstlerin Maria Thereza
Alves zeigt in ihrer Videoinstallation einen Loop des Videos
LOOKING: Sie hatte sich Fotografien der Weltjugendspiele
angesehen und die Abbildung einer Frau gefunden, die in der
Menge eine seltsame euphorische Autonomie ausstrahlt. Diesen
leuchtenden Ausdruck spielt eine Schauspielerin mit aller
Emphase nach und geht durch eine heutige Einkaufsstraße. Eine
rätselhafte und überzeugende Bewegung von innerer
Begeisterung hin zu einemäußeren Gemeinsamen und
Gesellschaftlichen entsteht, ohne aber den historischen Abstand
in einer sentimentalen Projektion wieder einzudampfen.
Bis zum 4. 8., www.werkleitz.de
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