Springerin (Wien), Bd. VIII, Heft 03/02 "Cosmopolitics", S.68

5. Werkleitz Biennale: Zugewinngemeinschaft

31. Juli bis 4. August 2002

von Martin Conrads

Die 5. Werkleitz Biennale in den sachsen-anhaltinischen Dörfern Tornitz und Werkleitz verhandelte anhand einer Vielzahl künstlerischer Medien eine auf Politisches und Zeitgeschichtliches bezogene Themenkonstruktion, die ihre Möglichkeiten aus einem gemeinschaftlich vorangetriebenen Diskurs zu beziehen suchte: Mit Holger Kube Ventura hatte nicht nur die Werkleitz Biennale einen neuen Leiter, sondern auch die Werkleitz Gesellschaft einen neuen Direktor erhalten, der das Konzept der Biennale kollektivierend umstrukturierte. Anstatt der noch bei der letzten Biennale erfolgten Aufteilung in Sparten (Bildende Kunst, Internet, Film/Video und Performance) berief Kube Ventura im vergangenen Jahr ein Team von zumeist aus Berlin stammenden "cultural workers", KuratorInnen und KünstlerInnen ein, das sich in regelmäßigen Abständen traf und zum Schluss noch zwölf Personen zählte (Jochen Becker, Reinhild Benning, Robin Curtis, Micz Flor, Stephan Geene, Merle Kröger, Brigitta Kuster, Renate Lorenz, Philip Scheffner, Dierk Schmidt, Stefanie Sembill und Gerhard Wissner). Aus den anfänglichen Diskussionen über den Begriff "Leitkultur" hatte sich dabei mit der Zeit der Festivaltitel "Zugewinngemeinschaft" ergeben, durch den sich drei thematische "Gegenstände" filtern lassen sollten? wie sich herausstellte, vor allem anhand der Screenings: Rainer Werner Fassbinders Film "Whity" (1970), die "X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten" von 1973 in Ost-Berlin und die hier als Statement begriffene Frage "Offene Grenzen?".
Der eher unbekannte Neo-Western "Whity", in den ein Vortrag von Marc Siegel einführte, handelt von einer durch rassistische Begierden und Ausbeutung gezeichneten Familienkonstellation, in der der Sohn eines weißen Großgrundbesitzers und dessen schwarze Sklavin so lange mit Intrigen gedemütigt wird, bis er die Familienmitglieder erschießt. Demgegenüber ließ die von Merle Kröger und Ina Alvermann vorgestellte filmische Kompilation zu den Weltfestspielen, die zwischen staatsgesteuerter Aufbruchstimmung (Angela Y. Davis neben Erich Honecker) und nicht geplanten Randerscheinungen schwankt, die in den Diskussionen während der Biennale verhandelten Begriffe "(Kultur-)Rassismus" und "Internationalismus" als Diskursmaterial hervortreten. Der am vorletzten Biennale-Abend gezeigte, obgleich schon ältere Film "The Truth Lies in Rostock" (1993), den Mark Saunders und Siobhan Cleary über das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen von 1992 gedreht haben, rückte nicht nur das die Plakate der Biennale illustrierende Motiv in den eigentlichen Kontext (es handelte sich um das Sonnenblumenmosaik auf dem Lichtenhagener Haus), sondern verstärkte auch die beiden genannten Begriffe in Hinblick auf das "Offene Grenzen?"-Statement. Hier schloss sich ein programmatischer Kreis, der ein bemerkenswert durchgearbeitetes Konzept erkennen ließ. Auch Karin Jurschicks einnehmend undistanzierte Dokumentation "Danach hätte es schön sein müssen" über das Verhältnis zu ihrem Vater, der israelische Film "Kaplan Family and the Black Demon"; von Liat Kaplan und Yifat Elkayam über die Probleme der Eltern Kaplan mit dem schwarzen Freund einer ihrer Töchter, Amar Kanwars auch auf der Documenta11 gezeigtes "A Season Outside" über die indisch-pakistanische Grenzregion oder die Beiträge von Kanak TV zeigten anschlussfähige, weiterführende Kontextualisierungen der drei gewählten Ausgangspunkte. Dass bei weitem nicht alle Filme neuesten Datums waren, verstärkte auf angenehme Weise die Konzentration auf das Thematische.
Was für den größten Teil der Screenings und Performances (gewinnend: Stephan Dillemuths "Lichtmenschen im Sumpf der Sonne? Studien zur Lebensreform") galt, nämlich die sowohl offene wie konsequente Programmplanung, ließ sich für den Ausstellungsparcours der Biennale mit seinen über 30 Beiträgen nur eingeschränkt behaupten. Hinsichtlich des ";kuratorischen Teams"; wäre der Begriff "Konzeptionsteam"; wohl adäquater gewesen: So erstaunte es, dass die einzelnen KuratorInnen zu einem großen Teil die von den anderen ausgesuchten Arbeiten gar nicht kannten; als weiterer problematischer Punkt fiel auf, dass von den zwölf KuratorInnen vier auch als Künstler gelistet waren? und dies nicht mit den kleinsten Arbeiten. Noch unverständlicher wurde es dort, wo einer aus dieser Gruppe unter Pseudonym zusätzlich eine Arbeit zeigte. Die sich auf individuelle Entscheidungen stützende kollektive Struktur des Teams zeigte so ganz offen ihre Schwächen, wohingegen die beim Parcours gezeigten Arbeiten teilweise als isolierte Einzelstatements wirkten. Obwohl alle vom Team ausgewählten KünstlerInnen eine thematische Mappe zur Vorbereitung ihrer Arbeiten erhalten hatten, war eine auf das Allgemeine und das Besondere achtende kuratorische Kontur nicht gezogen worden ? zugunsten eines unvorteilhaft Musters.
Eine direkte und dichte Verbindung zu den "Gegenständen" der Biennale gelang z. B. bei der Auswahl von Wiebke Gröschs und Frank Metzgers Dokumentation über das Nachleben der olympischen Dörfer, bei Branwen Okpakos im "Biennalen"-Format mit DVD-Synchrontechnik und auf drei Großleinwänden gezeigter Arbeit "Seh? ich was, was Du nicht siehst?" (einer Installation, bei der, in Ausschnitten, die afro-deutsche Künstlerin bei der dialogischen Betrachtung von "Whity" mit dem ebenfalls afro-deutschen Schauspieler Ernest Haussmann zu sehen ist), bei dem von Ina Rossow und dem "Dokumentationszentrum Alltagskultur DDR" zusammengestellten "Archiv 10. Weltfestspiele" und bei der von Mabouna II Moise Mérlin und Brigitta Kuster produzierten Videoinstallation "Rien ne vaut que la vie, mais la vie même ne vaut rien? bricoler la vie au quotidien" über das Leben in einem Asylbewerberheim in Zerbst. Demgegenüber erschien das Projekt "Lunch in the Ashes", bei dem vier auf einem Feld mit zeltähnlichem Überbauten errichtete Container (die an ähnliche Bauten der Weltfestspiele erinnerten) jeweils eine Videoinstallation enthielten, als eine Gruppe von Arbeiten, die entweder in sichtbar anderen Zusammenhängen entstanden waren (Shelly Silver, Jayce Salloum, Madhusree Dutta) oder die Komplexität des Themas Weltfestspiele schlichtweg reduzierten (Maria Thereza Alves). Hier schien, und dies ist nicht zuletzt ein Nebeneffekt der erfolgreichen 4. Biennale, die Festivalpositionierung zu unentschieden zwischen globalistischer Eingliederung ? der Teilnahme der Werkleitz Biennale an der Competition-Konferenz "Biennalen Im Dialog" im August 2000 in Kassel? und traditionell peripherer Bedingung.
Wenn von Seiten der Werkleitz Gesellschaft derzeit offen darüber spekuliert wird, die Biennale nächstes Mal nach Halle zu verlegen, so ist dies im Hinblick auf den die thematische Konzentration ermöglichenden Charakter des Biennaleortes eher als Drohung denn als Versprechen anzusehen: Eine Werkleitz Biennale in Halle müsste dem allgemeinen Vergleich mit jeder beliebigen Mittelstandsbiennale standhalten, eine Werkleitz Biennale in Werkleitz jedoch verspricht eine Freiheit des Besonderen, die auch in diesem Jahr nachhaltige Energie produzieren konnte. Die redaktionell von Florian Zeyfang betreute Katalogzeitschrift (deutsch/englisch) liegt im Netz im pdf-Format vor: www.werkleitz.de/zugewinngemeinschaft

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