Mitteldeutsche Zeitung, 01.08.02, S.18
Zugewinn aus der Vergangenheit
Werkleitz-Biennale- Medienkunst-Festival lockt mit politisch motivierter Kunst
von Günter Kowa
Tornitz/MZ. Der Wallfahrtsort der Medienkunstszene ist eröffnet. Pendelbusse
aus Berlin und zum Bahnhof Calbe West: Man trifft sich wieder auf dem Lande zur
Werkleitz-Biennale. Entlang der Dorfstraßen kündigt sich an, wohin die Reise
diesmal geht. Von originalgetreu reproduzierten Wahlplakaten lächeln Willy
Brandt, Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher. Sie verkünden das "Modell
Deutschland", einträchtig mit Aufrufen, die Kandidaten der "Nationalen
Front" zu
wählen. So surreal dieser lebensechte Zeitstrahl in die 70er Jahre der BRD wie
der DDR wirkt, er nimmt auch gleich noch die Kandidaten der Kreistagswahlen mit,
die in diesem Landstrich zufällig gerade jetzt laufen.
Die Berliner Medienkünstler Martin Conrath und Marion Kreißler setzen mit dieser
Aktion das augenfällige Zeichen dafür, was die Biennale diesmal umtreibt. Eine
Generation strebt zurück zu ihren Ursprüngen. Die 70er Jahre und ihre politisch
aufgeladene Atmosphüre neu zu betrachten.
"Zugewinngemeinschaft" hat sich die Biennale zum Thema gegeben und
meint damit
unter anderem die Situation der deutschen Gesellschaft seit ihrer
Wiedervereinigung. Die Umgebung liefert dafür die passende Kulisse. Aber die
Auseinandersetzung mit einer Vergangenheit, die für nicht wenige der Künstler
auch Kindheit und Jugend bedeutet, ist bei diesem Festival nicht auf
Binnenblicke beschränkt.
Zwölf Kuratoren waren am Werk, um entlang dreier "Gegenstände"
Assoziationen in
alle Richtungen zu entwickeln. Der Film "Whity" von Rainer Werner
Fassbinder,
die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenden 1973 in Ostberlin sowie die Frage
nach "offenen Grenzen"sind die Pole, um die herum mehr als 40
Künstler in der
ländlichen Atmosphäre dieser Biennale ihre Sicht entwickeln. Es ist kaum
abschließend zu beurteilen, ob der Streit um die Rechte der Frau, der
Homosexuellen, der Einwanderer und Flüchtlingen oder Entrechteten jeder Art in
der jetzt in Werkleitz präsentierten Form neuen Impuls oder gültigen Ausdruck
findet.
Von Interesse aber ist das Phänomen an sich. Denn der Drang zur
Gesellschaftskritik von gestern spiegelt die Verunsicherung im Ausblick auf ein
Jahrhundert, für das Ideale und Utopien nicht in Sicht sind. Im Dämmer der
Tornitzer Kirche ist eine Reihe von Arbeiten um den Film "Whity"
gruppiert.
Fassbinders Südstaaten-Drama kreist um die Homosexualität, das Kernthema des
Regisseurs, der es in diesem Film in die rassistische Grundströmung der
Gesellschaft einbettet. So dient der Neger "Whity" in einer Familie
von weißen
Großgrundbesitzern, die ihn in zwanghaften Streit hineinziehen.
Die Auseinandersetzung der beteiligten Künstler mit diesem Film geschieht - und
das ist bezeichnend - über eine mehrfach sekundäre Annäherung. Die
Afroamerikanerin Branwen Okpako zeigt Ausschnitte aus dem Film, auf die zwei
Zuschauer mit Kommentaren oder auch nur mit Mienenspiel reagieren. Manon DeBoer
hat Studenten Bücher über Fassbinder durcharbeiten lassen und erkennt in den
unterschiedlichen Anstreichungen den jeweils anders gewichteten Erkenntniswert.
Die aus Korea gebürtige Kanadierin Helen Lee nimmt den Film zum Anstoß für einen
Rückblick auf das Hollywood-Musical "Flower Drum Song", das mit einer
Besetzung
ausschließlich asiatisch-stümmiger Amerikaner auffiel. Der Betrachter sieht das
Video mit mehrfach überlagerter Botschaft - so erscheint auf einem Begleitfilm
ein schwarzgeschminkte Stepp-Tänzerin, während ein deutscher Sprecher eine
Pseudo-Übersetzung liefert, in der scheinbar zusammenhanglos von Homosexualität
und Judentum die Rede ist.
|