Junge Welt, Nr. 178, 03./04.08.02, S.14

Auf daß wir hochtriggern

Vom Glück der Unterwerfung zum Glück der "Revolution": Eine Videoinstallation auf der 5. Werkleitz-Biennale.

von Alexander Reich

Wenn die Kälte der Kirchengemeinde Tornitz zu heftig zusetzt, verzieht sie sich in den Winterraum. Er faßt nicht mehr als zehn Leute. Während der Werkleitz-Biennale ist sein einziges Fenster verhängt. Auf drei Kanälen loopen Videos der Kanadierin Helen Lee. Zwei 14-Zoll-Monitore stehen in Augenhöhe einander gegenüber an den Längsseiten, an jedem hängen zwei Paar Kopfhörer. Ein Monitor zeigt das Porträt eines nackten Sängers, der sich, wie Lee meint, "mit beiläufigen Gesten als jüdisch und schwul charakterisiert": Benny Nemerofsky Ramsay. Auf den Kopfhörern läuft der Song "I enjoy being a girlV aus dem 1961 in Hollywood verfilmten Broadway-Musical "Flower Drum Song". Die chinesische Einwanderin Nancy Kwan, deren Hollywood-Karriere nicht nur Lee nachhaltig beeindruckt hat, singt: "When men say I’m cute and funny, / And my teeth aren’t teeth, but pearl, / I just lap it up like honey / I enjoy being a girl." Der schwule Jude bewegt dazu seine Lippen. Gestern abend verständigten sich zwei ortsansässige WerkleitzBesucher in den Mittvierzigern über die Exaktheit seiner Synchronisation: "Hammerhart. Ob der das wirklich selber singt?" – "Der singt’s nicht selber, grad eben hat er sich verzögert."
An dem gegenüberliegenden Monitor stand die Frau, die die beiden begleitete. Sie sagte nichts. Auf ihren Kopfhörern lief die professionell angefertigte Übersetzung des Songs, gesungen von Ramsay: "Sagt ein Mann, ich sei süß und komisch, / und mein Mund niedlich, wenn ich schmoll’, / geht das ’runter bei mir wie Honig. / Ein Jude zu sein ist toll. / Schickt ein Typ mir Blumen, flipp’ ich aus. / Auch Spitzenkleider liebe ich. / Ich sitz’ am Telefon und geh’ nicht raus, / hab’ ’ne halbe Packung Creme im Gesicht. // Bin ein ganz und gar jüdischer Jude, / und die Zukunft, die plane ich / in dem Heim eines lieben, braven Manns. / Eines Manns, der einen Juden haben will – wie mich. // Eine Tunte zu sein ist toll. // Ein Jude zu sein ist toll."
Der Monitor zeigt die entsprechende Gesangssequenz aus dem Musical. Nancy Kwan steht als Immigrantin Lancy Low in einem märchenhaft riesigen, durch und durch weißen »Chinatown-Appartment« vor drei Ganzkärperspiegeln. Bekleidet ist sie mit einem weißen Handtuch. Sie präpariert sich für ihren neuen Freund, schwebt durch den Saal zum Schminktisch. Als sie gegen Ende des Songs zum Ausgangspunkt der Szene zurückkehrt, spiegelt sie sich in drei Varianten des mächtigen Aufgedresstseins. Die phantasierten Identitäten werden mit einer Überblendung zurückgenommen. Für Filmwissenschaftsstudentin Lee erzählt die Szene der gesplitterten Spiegelbilder und Gender-Maskeraden auch von einer "Art Mimikry, die kaum jemand mitbekommt: Nancy Kwan spielt mit den Bildern Marilyn Monroes aus der Hollywood-Komödie ›How to marry a millionaire‹. Sie versucht die perfekte Assimilation der klassischen amerikanischen Schäonheit. Vom Ansatz her ist das durchaus mit Fassbinders Western-Zitaten vergleichbar."
Die Videoprojektion an der Stirnseite des Winterkirchenraumes schließlich ist lebensgroß. Sie zeigt Laura Young, Asiatin und Tänzerin an der Berliner Schaubühne, beim Steppen vor einer weißen Wand. Das Geräusch der Steppeisen auf dem Parkett ist bis vor die Tür der Kirche zu hören. Young trägt ein weißes Ballettkleid und, wie sich am Ende des Loops herausstellt, eine schwarze Maske. Die Maske erinnert in erster Linie an die tiefschwarze Tinktur, die sich farbige Steptänzer vor ihren Ministrel-Shows auf die Gesichtshaut schmierten. Sie referiert aber auch auf die Anfänge des Balletts im Frankreich des ausgehenden 17. Jahrhunderts, als die Tänzerinnen ihre Identitäten an den Höfen symbolisch mit Halbmasken zu verbergen hatten. Weil Young keine ausgebildete Steptänzerin ist, wirkt ihr Tanz alles andere als perfekt, eher schleppend, fahrig, arythmisch – als wäre sie die Bewegungen zum Knallen der Peitsche über die Jahrhunderte leid geworden.
Lee nimmt das Glück der Unterwerfung als Glück im Unglück – nicht als Dreck, an dem man sich besser nicht die Hände schmutzig macht, und das ist geil so. Sie versucht zu verstehen, was die sexistischen, rassistischen usw. Hollywood-Blockbuster "mit uns gemacht haben", sagt sie. Korrekt: Wer immer nur alles richtig denkt, ist nicht ganz sauber, auch wenn er sich dafür halten mag. Wer sich das Wissen um die Jauche, die sein Begehren ist, spart, wird nicht zu emphatischen Plädoyers finden können. Der Grund, aus dem sich Holger Kube Ventura, künstlerischer Leiter der Werkleitz-Biennale, in seinem Buch "Politische Kunst Begriffe" (edition selene, Wien 2002) "für die Option eines taktischen Gebrauchs"der abgefrühstückten Vokabeln "Avantgarde", "Revolution" und "Linke" ausspricht, ist von einfacher Schönheit: "Als trigger kann ihre Suggestivkraft meiner Ansicht nach unter bestimmten Umständen selbstermächtigend verwendet, d.h. auf Umwegen politisch wirksam gemacht werden – etwa im Sinne einer aktualisierten ›désirévolution‹ (Jean-Francois Lyotard) nach dem Motto: Sie ist vielleicht nicht richtig, aber trotzdem eine Möglichkeit zur Mobilisierung. Eine solche Suggestivkraft kann in ihren politischen Dimensionen nicht vorhersehbar sein. Es müßte einstweilen vielleicht darum gehen, die Pragmatik der Sprechakte und Textkonstruktionen wieder stärker in den Blick zu bekommen, etwa in Form eines ›Kunstwerks, in dem die Einbildungskraft sich selbst begehrt‹ (Lyotard). So hatte in den 70er Jahren Jean-Francois Lyotard die Notwendigkeit einer pragmatischen Theoriebildung zur Unterstützung kultureller (und revolutionärer) Projekte erkannt und betont: "Wichtig an einem Text ist nicht seine Bedeutung, also das, was er sagen will, sondern was er macht und machen läßt: die Verwandlung dieser potentiellen Energien in anderes: andere Texte, aber auch Gemälde, Fotos, Filmsequenzen, politische Aktionen, Entscheidungen, erotische Eingebungen, Befehlsverweigerungen, ökonomische Initiativen." So kommen wir zusammen. Mit Chance.

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