Junge Welt, Nr.175, 31.07.02, S.12

Anders funktionieren

Kunst und Opposition: Heute beginnt die 5. Werkleitz-Biennale. Ein Gespräch mit dem Leiter Holger Kube Ventura

von: Christof Meueler/ Alexander Reich

F: Ist die Werkleitz-Biennale die Documenta des Ostens?
Von der Größe her nicht. Andererseits gibt es in den neuen Bundesländern keine Veranstaltung dieser Art, die international bekannt ist und an der 100 KünstlerInnen beteiligt sind. Regionalzeitungen haben den Documenta-Vergleich aufgebracht, inzwischen ist er auch überregional verwendet worden. Die offene Frage ist: Was, wenn nicht die Werkleitz-Biennale, könnte die "Documenta des Ostens" sein?
F: Warum hat das Kunst- und Medienfestival den Titel "Zugewinngemeinschaft"?
Man kann den Familienrechtsbegriff als Kritik an Gesellschaften verstehen, die "unprofitable"Menschen ausgrenzen. Das betrifft unter anderem die deutsche Zuwanderungspolitik, nach der Menschen, die keine Zugewinne versprechen und keine Arbeitsmarktlücken füllen, selbst sehen sollen, wo sie bleiben.
F: Im Familienrecht bezeichnet der Begriff eine Gemeinschaft, die ihre Gewinne teilt – unabhängig davon, wer sie erwirtschaftet.
Juristisch wurde die Zugewinngemeinschaft zum Schutz von Müttern eingeführt, die nach der Scheidung mittellos dastanden, wenn sie keinem Beruf nachgegangen waren. Neben der kritischen Ausdeutung des Begriffes ist auch eine positive möglich. Im Titel steckt auch der Wunsch nach einer Gesellschaft, die mit den Unterscheidungen arm/reich, schwarz/weiß, deutsch/nichtdeutsch weniger ausgrenzend umgeht. Die Biennale ist eine Gemeinschaft, die fünf Tage anders zu funktionieren versucht. Uns hat gerade die Vielschichtigkeit des Begriffs interessiert. Wir wollten keinen Zeigefinger im Titel.
F: Als Geschäftsführer der Werkleitz-Gesellschaft sind Sie für die Beschaffung der Gelder zuständig, bestehen aber darauf, daß deren Verteilung demokratisiert ist – durch eine Gruppe von Kuratoren. In der haben Sie keine Führungsposition inne?
Nein. Es ist die Rolle des gesamten kuratorischen Teams (zwölf Leute) plus mir, über die sinnvolle Verteilung der Gelder nachzudenken. Meine Position ist herausgehoben, weil ich als einziger der 13er-Gruppe die institutionellen Rahmenbedingungen kenne. Aber ich will deswegen keine besonderen Machtbefugnisse haben. Die Gruppe geht mit Geld nach inhaltlichen Kriterien um und auch nach politischen. Sie wollte zum Beispiel, daß alle gleich angemessen bezahlt werden – KuratorInnen, KünstlerInnen, HelferInnen ...
F: ...ist das so?
Es gibt diese Intention und viele Bereiche, in denen sie ansatzweise verwirklicht ist. Ich jedenfalls muß immer im Interesse der Institution entscheiden. Ein anderes Beispiel: In diesem Jahr gab es die Überlegung, von den etwa 245000 Euro Etat statt der Biennale einen Film zu machen, weil das wirksamer wäre. Für mich hingegen war das überhaupt keine Frage. Denn beim nächsten Mal hätte ich unter dem Label Werkleitz-Biennale keinen einzigen Förderantrag mehr durchgebracht.
F: Hätten die Förderverträge es denn für dieses eine Mal zugelassen?
Nein. Die Filmdiskussion ist in der Gruppe deshalb später auch eine "Scheindebatte" genannt worden.
F: Nerven solche Gruppen denn nicht total?
Die Reibungsverluste waren mitunter schon schwer auszuhalten. Ich trug letzten Endes die Verantwortung, während die Gruppe es sich offenhielt, das Projekt zu machen oder eben nicht.
F: Wer sind die Förderer des Festivals?
Schätzungsweise 25 Prozent sind dieses Jahr Landesmittel. Der Rest kommt von Bundesebene, von der Mitteldeutschen Medienförderung, von der Lotto Toto GmbH und kleineren Stiftungen wie der Heinrich-Böll-Stiftung, der DEFA-Stiftung und so weiter.
F: Hat es da im Vergleich zur letzten Biennale Veränderungen gegeben?
Bezüglich der Landesmittel gibt es die vier Adressen Bildende Kunst, Musik, Theater und Film. Daß die ersten beiden Töpfe dieses Mal zublieben, ist ein mittelprächtiger Skandal. Als die Absagen kamen, habe ich schon überlegt, ob sie politische Gründe hatten.
F: Mitteldeutsche Medienförderung – haben Sie keine Probleme mit dem Begriff "Mitteldeutschland"?
Nein, wieso? Den haben die Länder selbst auf den Tisch gehoben, und ich übernehme ihn für die bessere Zusammenarbeit.
F: Er klingt nach Osterweiterung.
Solange keine/r Zentraldeutschland sagt, habe ich keine Probleme. Auf den zweisprachigen Informationsblättern der Mitteldeutschen Medienförderung heißt es allerdings "Central Germany". Für die englische Übersetzung von "Zugewinngemeinschaft" kursierten bei uns übrigens lange Zeit zwei Varianten: "profitable partnerships" (einträgliche Partnerschaften) und "community of surplus" (die Gemeinschaft des Mehrwerts), was uns letztlich sympathischer war.
F: Haben Sie besondere Probleme mit Deutschland?
Wie kann man mit Deutschland keine besonderen Probleme haben? Der Biennalen-Aufhänger ist allerdings, daß man die Zustände hier konkret kritisieren kann und soll, nicht abstrakt.
F: Deshalb ist die Fassade des »Sonnenblumenhauses« in Rostock-Lichtenhagen, das 1993 im Zentrum eines Pogroms gegen Ausländer stand, das Plakatmotiv dieser Biennale?
Ja. Man muß das Mosaik natürlich nicht unbedingt erkennen: Die Blütenblätter gehen auch als ineinandergreifende Zahnräder durch.
F: Die Biennale spielt aber auf die Rostock-Lichtenhagener Version einer "Zugewinngemeinschaft" an?
Auf jene Zugewinngemeinschaft, deren Gewalt sich z.B. in Rostock manifestiert hat.
F: Bilden Kunst und Politik nicht auch eine Art Zugewinngemeinschaft, beispielsweise in Werkleitz? Auf dem Kultursektor sind in der Bundesrepublik rasante Kritikformen möglich, in der offiziellen Politik sehr viel weniger.
Stimmt. Das ist natürlich zum Teil Augenwischerei: Solange die radikale Opposition Kunst macht, können wir sie vertragen. Die Zugewinngemeinschaft Kunst und Politik hat also positive und negative Konnotationen.

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