Frankfurter Rundschau 2002, 03.08.2002
Zugewinngemeinschaft Werkleitz
Ein Wirklichkeit gewordener Traum von selbstbestimmter Zukunft im Osten
- Die Geschichte einer Kunstbiennale
von Petra Kohse
Es war so, wie es sein soll, bei einem Sommerausflug aufs Land. Es war
heiß. Der Schweiß begann sofort zu rinnen, als das Ziel zur Mittagszeit
erreicht war und der klimatisierte Reisebus aus Berlin seine Türen öffnete.
Tornitz in Sachsen-Anhalt, ein Dorf im Elbe-Saale-Winkel. Zirpende
Grillen, ein Gasthaus Zur Post und etliche Wahlplakate im
Schwarz-Rot-Gold. "Deine Stimme den Kandidaten der Nationalen Front".
Erst auf den zweiten Blick fiel die DDR-Flagge ins Auge und, richtig!,
da stand auch groß das Datum: 19. Mai 1974 - eine Reproduktion. Westlern
nicht so geläufig, war Nationale Front der Name der SED-geführten
Dachorganisation aller Parteien und Massenorganisationen der DDR.
Beschämt, Sachsen-Anhalt ohne Zögern eine heutige, natürlich
rechtsgerichtete solche Front zugetraut zu haben, betrat man den Gasthof
und fand ihn, ein Versöhnungsangebot, nicht heruntergekommen, sondern
romantisch. Abgetretenes Linoleumstückwerk und im Festsaal ein mit
dunkelbraunen Vorhängen umkränztes Bühnenpodest. Kaffee und Schnittchen
standen bereit, dann begann dort am letzten Mittwoch die Pressekonferenz
zur 5. Werkleitz Biennale.
Werkleitz liegt einen Kilometer von Tornitz entfernt direkt an der Saale
und ist der Wirklichkeit gewordene Traum von der selbstbestimmten
Zukunft im Osten. Filmstudenten aus Braunschweig kamen 1991 hierher,
setzten eine Ziegelei in Stand und gründeten zwei Jahre später den
Medienkunst-Verein Werkleitz Gesellschaft (der heute in Tornitz in einem
ehemaligen Konsum an der Straße des Friedens residiert). Freunde und
Freundesfreunde dockten an, und bald kam die erste Ausstellung zustande,
in der alle Genres willkommen waren. Die östhetische Grenzüberschreitung
blieb die Idee auch der folgenden, vom Land erst bezuschussten,
inzwischen institutionell gefärderten Biennalen, deren fünfte derzeit an
verschiedenen öffentlichen Orten in Werkleitz und Tornitz stattfindet
und den Titel Zugewinngemeinschaft trägt.
Es handelt sich, wie Holger Kube Ventura, der Leiter der Werkleitz
Gesellschaft, den im Kreis platzierten Journalisten erklärt, um eine
"diskursgenerierte" Gruppenarbeit. Irritiert von der
Leitkultur-Debatte habe man letztes Jahr etliche Künstler, Künstlerinnen und mit Kunst
Befasste zu einem Sommercamp eingeladen, in dessen Verlauf sich das
Interesse an drei Themen heraus kristallisiert hätte: An Fassbinders
Film Whity aus dem Jahr 1970, an den 10. Weltfestspielen der Jugend und
Studenten 1973 in Ost-Berlin und an der Frage, ob die so genannten
offenen Grenzen denn nun wirklich offen wären. Entsprechende Dossiers
seien an weitere Künstler, Künstlerinnen und mit Kunst Befasste
geschickt worden, die daraufhin Beiträge geleistet hätten oder auch
nicht. Kuratiert von einem Zwölfergremium (u.a. Jochen Becker, Robin
Curtis, Renate Lorenz und Gerhard Wissner) sind achtzig Arbeiten
versammelt worden, etwa die Hälfte davon Filme. Die Reproduktionen
historischer Wahlplakate aus Ost und West von Martin Conrath und Marion
Kreißler gehören zum Programm. Auch die Fotoserie Flüchtlinge wohnen
nicht von Claudia Heynen, ein zeitgenössischer Auftragsfilmüber die
Weltfestspiele oder ein Computerspiel von Janko Vook auf der Oberfläche
der Fassbinder-Szene, in der Whity, der uneheliche Sohn einer schwarzen
Köchin mit ihrem weißen Herrn, seine Familie erschießt. Und die
Foto-Ton-Installation über drei Gastarbeitende und ihre Kinder. Und eine
Büchersammlung zu den Teilnehmerländern der Weltfestspiele. Und, und.
Und warum auch nicht. Es dürfte wenig geben, für das sich im
Themenspektrum - politische, ethnische, soziale und kulturelle Grenzen -
kein Plätzchen fände. Der Rest ist Interpretation.
Exotisierung der Anderen
Schon den aus dem Eherecht entnommenen Begriff Zugewinngemeinschaft
könnte man durchaus positiv verstehen: Er bedeutet, dass alles, was
zwei, die sich zusammentun, gemeinsam erwirtschaften, beiden gehört. Und
dass das, was jeder vorher schon hatte, nicht dazu zählt. Eine faire
Sache eigentlich. Die Werkleitzer aber wollen damit ihre Kritik an
Gesellschaften ausdrücken, die nur diejenigen aufnehmen, die ihnen
Gewinn bringen bzw. nur die Elemente einer anderen Kultur gelten lassen,
die ihnen nützen. Doch auch Fremdenfreundlichkeit ist den Kuratoren
verdächtig, sofern damit eine Exotisierung des Anderen verbunden sei. In
dieser Gemengelage das Richtige zu tun, scheint schwer. Und wird von den
entspannten, allesamt freizeitlich gekleideten Biennalemachern trotzdem
für möglich gehalten. Nicht ohne Stolz weisen sie auf die Aktualität des
Biennale-Plakats hin, das einen Ausschnitt des Mosaiks am
"Sonnenblumenhaus" in Rostock-Lichtenhagen zeigt. Vor zehn Jahren
wurde
dieses Haus in fremdenfeindlicher Absicht schwer attackiert, und jetzt
Ende Juli, da waren die Plakate schon gedruckt, brannte es dort wieder.
Wie Zahnräder greifen die stilisierten Blüten des Mosaiks ineinander.
Alle Räder stehen still, wenn ein starker Arm es will.
Herz-Schmerz-Trash
Eine kritische Vernetzung des Themenparkes ist die Sache der Werkleitzer
nicht. Dass in der Sporthalle in einem am Rande gezeigten Video
verzweifelt feiernde Asylbewerber in Sachsen-Anhalt zu sehen sind und
auf einem zentral montierten die ebenso vergeblich feiernde
sozialistische Sportjugend von 1973, bemerkt man nur, wenn man günstig
sitzt und die Halle sonst leer ist. Das Wohlmeinende indessen ist nicht
zu verfehlen. Die in Nigeria geborene Filmemacherin Branwen Okpako hat
die Tornitzer Kirche leer räumen lassen, um einen Whity-Fernsehabend auf
drei Leinwänden als Altarbild zu arrangieren. In der Mitte läuft der
Film, rechts sieht man sie selbst, links einen afrodeutschen Mann, wie
sie sich, oft kopfschüttelnd, den Film anschauen und manchmal
Bemerkungen dazu machen ("Der will unbedingt eine gute Figur machen.
Jetzt putzt er sich sogar die Schuhe!") Zurechtgewiesen sitzt man als
weiße Zuschauerin auf dem davor stehenden Sofa (Kirchenbank?) und
bekommt gezeigt, wie "richtiges", weil irgendwie berufenes Zuschauen
geht. Beglückend beiläufig ist dagegen der Herz-Schmerz-Trash, der aus
Altglas-Containern vor der Kirche ertönt ("Also gut, ich liebe dich
nicht mehr" - "Gestern hast du mich doch noch geliebt!") oder
(und vor
allem!) Dorothee Wenners Biennale-unabhängiges Film- und
Ausstellungsprojekt Unser Ausland, von dem in diesem Rahmen dennoch fünf
Kurzfilme als Preview gezeigt werden: In Berlin lebende Ausländer und
Ausländerinnen beschreiben deutsche Eigenheiten - das Vereinsleben, die
Gemütlichkeit oder den Willen zum Stil - aus der selbstironischen
Position des eigenen Darin-Versinkens.
Weniger reflektiert, jedoch zweifelsfrei eine Zugewinngemeinschaft ist
auch das mit überlassenem Hausrat bestückte Tornitzer Heimatmuseum, das
sich als Readymade in den Biennale-Rundgang integrieren lässt. Wand an
Wand dazu zeigen Johanna und Helmut Kandl ein Video abgefilmter
Urlaubsfotos aus Ost und West. Ein berührendes Album des Traums von der
Ferne, das gleichfalls auf Zuwachs angelegt ist. Einheimische sind
ermutigt, eigene Bilder vorbeizubringen, und bestimmt werden sie das
auch tun. Denn die Bewohner von Werkleitz und Tornitz, von denen es
insgesamt nur sechshundert gibt, scheinen dem Kunstgewese absolut
positiv gegenüberzustehen. Nicht nur öffneten sie alle Orte für die
Biennale und kamen zahlreich zur Eröffnung. Sondern sie putzten auch
ihre Pferde heraus, um die Gäste für je zwei Euro durch den Rundgang zu
kutschieren.
So liegt mit der Veranstaltung als solcher am Ende vielleicht das
eindrücklichste Beispiel einer Zugewinngemeinschaft vor, und wenn die
Werkleitz Gesellschaft, wie angedeutet, demnächst aus Wettbewerbsgründen
nach Halle übersiedelt, wird beiden Parteien etwas fehlen. "Nicht
zuletzt durch die Exotik seiner ländlichen Umgebung" locke das
Medienkunst-Festival schließlich das Publikum aus ganz Deutschland an,
heißt es in einem Info-Text, als würde die Gesellschaft mit Absicht in
die selbst gestellte Falle tappen. Wobei unsereiner gemeinschaftlichen
Zugewinn ja nicht so schlimm findet. Im Gegenteil ist es sehr schön,
sich vom Kunstbesuch am Rande echter Felder zu erholen. Und wenn dann
abends die Mücken kommen, steigt man wieder in den Bus.
Werkleitz, bis 4.8., Informationen unter www.werkleitz.de, Tel.: 03929-86750
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