Die Zeit, N.33, 08.02, S.22
Sachsen-Anhalts Documenta
Die 5. Werkleitz-Biennale zeigt neue politische Medienkunst
von Evelin Finger
Wenn man auf staubiger Kopfsteinpflasterstraße nach Tornitz holpert, seinen
Wagen unter der nächstbesten Birke parkt und in den Gasthof Zur Post einkehrt,
dann kann man sich richtig im Osten angekommen fühlen. Hier gibt es noch Frauen
in Dederon-Kittelschürzen, die Jugendklubstühle stammen aus der Polytechnischen
Oberschule, und es stört den Gesamteindruck fast gar nicht, dass hier bereits
seit zehn Jahren westdeutsche Medienwissenschaftler ansässig sind und nun zum
fünften Mal eine Biennale für zeitgenössische Kunst veranstaltet haben. Sie
findet immer in Tornitz und im Nachbardorf Werkleitz (nach dem sie benannt
wurde)
sowie auf den umliegenden Feldern statt, und sie ist von der regionalen
Presse schon mehrfach zu Recht "Documenta des Ostens" genannt worden,
haben doch ihre
Kuratoren mit einer Mischung aus theoretischem Anspruch,
ethnologischem Interesse und gesellschaftskritischem Impetus erstaunliche
Programme zustande
gebracht - zum Thema Arbeit ebenso wie zum Thema Subfiction.
Aber nachdem die nostalgische Location in diesem Jahr nun auch vom
bundesweiten Feuilleton bestaunt wurde, wäre es allmählich an der Zeit, den
Widerspruch zwischen
dörflichem Ambiente und urbanen Darstellungsmitteln wie
Video, Kinofilm, Computerkunst wirklich zu reflektieren und den Wandel des
authentischen Aufführungsraumes
zur Kulisse zu thematisieren. Auf dieser
Biennale gibt es besonders viele Arbeiten, die erst durch ihren Präsentationsort
zur Geltung kommen. So wurde etwa
Rainer Werner Fassbinders Film
"Whity"in der Tornitzer Dorfkirche auf drei Leinwänden - als bewegtes
Tryptichon - gezeigt.
In einem Winkel der Turnhalle Werkleitz konnte man auf
Endlosvideo die Tristesse des Asylantenalltags sehen. Und in einem
Mauerdurchbruch erblickte man
die Ruinen der zerschossenen Häuserlandschaft
Bosnien-Herzegowina als Dia-Folge.
Die sozialkritische Richtung der meisten Beiträge zum diesjährigen Motto
"Zugewinn Gemeinschaft" war durchaus plausibel. Aber weit weniger
evident war der
Kunstcharakter einiger Aktionen. Wo die Konzeptkunst politische
Kunst sein möchte, aber die Deutlichkeit einer John-Heartfield-Collage scheut,
dort stellt sich
schnell der Eindruck des Halbherzigen ein, und das Publikum
sieht sich genötigt, eine Syntheseleistung zu erbringen, zu der der
Konzeptkünstler vielleicht gar nicht
fähig war.
Eine Filmkompilation zu den
"10. Weltfestspielen der Jugend und Studenten"1973 in Ost-Berlin
gehörte zu jener ahistorischen Art der Geschichtsbetrachtung, wie
sie seit der
deutschen Wiedervereinigung mit Inbrunst zelebriert wird: Die Bilder
fahnenschwenkender FDJler und fröhlicher Hulahoop-Mädchen sind wie das
Freundschaftsfoto Erich Honeckers mit der Sängerin Angela Davis zunächst
Folklore, und es käme darauf an, die Selbstinszenierung der sozialistischen
Internationale derjenigen anderer politischer Systeme zu vergleichen.
Das ist
in einer Plakataktion auf den Straßen der Biennale-Dörfer immerhin gelungen.
Neben die Wahlplakate des laufenden Wahlkampfes wurden historische aus
den
vergangenen drei Jahrzehnten gehängt, und es ähnelt sich nicht nur die
Bildsprache der letzten SED-Plakate ("Für Frieden und Sozialismus")
und der ersten
CDU-Plakate für Ostdeutschland ("Freiheit statt
Sozialismus") auf verblüffende Weise, sondern auch Willy Brandts Aufruf
"Deutsche! Wir können stolz sein auf
unser Land" korrespondierte sehr
schön mit neueren NPD-Slogans.
Allerdings stand die aufklärerische Absicht einiger Festivalbeiträge, etwa eines
Films über die
Brandanschläge von Rostock-Lichtenhagen, in groteskem
Missverhätnis zum politischen Handlungsnotstand vor Ort. Während das
Filmpublikum sich nachträglich über die Tumbheit
der Rostocker Behörden
entsetzen durfte, die ja bekanntlich weitaus fatalere Folgen hatte als das
Auftreten des ausländerfeindlichen Mobs selbst, feierte die NPD-Gazette
"Deutsche Stimme" ihr großes
Pressefest in Mitteldeutschland.
Die Werkleitz Biennale nämlich liegt, anders als mancher Erstbesucher denken
könnte, keineswegs auf dem Mond. Man muss sich wünschen, dass die Veranstalter
den
ästhetischen Überschuss dieses Ortes noch stärker problematisieren, damit
deutlich wird, wie das marode Idyll in die dort inszenierte Kunstwelt passt.
Entsprechende
ironische Transparente und Installationen hat es in den
vergangenen Jahren oft gegeben - und auch immer wieder grandiose Einzelbeiträge.
Diesmal beantwortete eine filmische Familienrecherche von Karin Jurschik die
Frage, ob Gemeinschaft ein Zugewinn sei, ganz persönlich und trotzdem politisch:
am
Beispiel familiärer Repression. Hier konnte man sehen, dass alle Gewalt ihre
verschwiegene Geschichte hat. Nur so wäre auch der folkloristische Zugang zur
DDR
überwindbar und vor allem die hegemoniale Perspektive der Treuhandpioniere,
die immer wieder gern erzählen, wie sie sich auf dem mitteldeutschen
Kopfsteinpflaster ihre Stoßdämpfer ruiniert haben.
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