Berliner Zeitung, 05.08.02
Chinesen im Sportlerheim
von Sabine Vogel
Die fünfte Internationale Medienkunst-Biennale in Tornitz/Werkleitz an der Saale
Auf der Dorfstraße machen Helmut Kohl und Willy Brandt Wahlkampf. Doch am nächsten Laternenmast wirbt ein Plakat mit Hammer und Sichel für Frieden
und Sozialismus. Und die NPD ist auch überall vertreten. Hier stimmt was nicht mit der Idylle. "Du liebst mich nicht mehr", keift irgendwo eine aufgedrehte
Frauenstimme. Sie tönt aus einem der drei braun-grün-weißen Altglascontainer, die vor der Kirche aufgestellt sind. Mit 100 Wahlplakaten aus den
70er-Jahren simulieren Martin Conrath & Marion Kreißler ein "Modell Deutschland", das nur in einem Kunstprojekt Wirklichkeit werden konnte.
Anlass dafür war das nunmehr schon zum fünften Mal in den beiden kleinen Dörfern Tornitz und Werkleitz in Sachsen-Anhalt stattfindende internationale
Medienkunst-Festival Werkleitz-Biennale. 1993 von Künstlern initiiert und finanziert durch die Kulturstiftung des Bundes, des Landes Sachsen-Anhalt, den
Kulturfond Berlin und viele andere Förderer, hat sich die Dorfbiennale als größtes und sicherlich abwegigstes Medienkunstspektakel in den neuen
Bundesländern etabliert. Unter dem diesjährigen Titel "Zugewinngemeinschaft" ludt ein Team aus zwölf Kuratoren (fast alle aus Berlin) rund vierzig Künstler
und Künstlergruppen ein, für fünf Tage und Abende die ländliche Einöde im Saale-Elbe-Winkel mit moderner Kunstpraxis zu stören.
Drei Themen bildeten die Rahmenstruktur: Fassbinders filmische Rassenparabel "Whity" von 1970, die rhetorische Frage "Ohne Grenzen?" und die "X.
Weltfestspiele der Jugend" in Berlin, DDR 1973. Keine schlechte Idee, zumal in der Mischung aus trendigem Heimat-Kunst/Migrantenbezug und Anbiederung
an die DDR-Geschichte; aber leider folgten die meisten der Künstler fast wörtlich den konzeptionellen Vorgaben. So gab es neben mehrfachen Fotos, Filmen,
Archivmaterialien und Tonträgern von Angela Davis neben Erich Honecker auf den X. Weltfestspielen die obligatorischen Ausländerbefragungen, Statistiken
zur deutschen Asylantenheimverordnung, Interviews mit Kreuzberger Türken, die politisch korrekten Dokumentationen des "Fremdseins" und die immer mehr
langweilende Frage nach der eigenen Identität - sei es als "Whity" (der in der Fassbindergeschichte ja ein Mischling ist), als Aus-Länder oder eben jemand
vom "anderen Ufer".
Bei so viel demonstrativ guter Absicht, Mission und Moral, ging die Kunst selbst beinahe ein wenig unter. Zumal sie mit dem bizarren Charme der original
ostigen Schauplätze konkurrieren musste: Es gelang eigentlich nur, indem die Installationen und Videos die Ästhetik der Orte aufnahmen oder konterkarierten.
Natürlich passte der Dokumentarfilm über die Schwulenszene am Alex aus den 70ern mit seiner verständnisheischenden Onkelkommentatorenstimme in die
spießige Fernsehkommode aus derselben Zeit im Raum eines Privathauses mit verschlissener Blumentapete. Und auch die Installation "Lost Nations" aus
Tischlämpchen mit orange gefälteltem Zylinderschirm und Büchern über die verlorenen Nationen wie DDR, Sowjetunion oder Belgisch-Kongo fügte sich wie
dafür gemacht in den Raum des Tornitzer Bürgerzentrums ein.
Der noch immer als Frisierstube funktionierende ehemalige "Friseurstützpunkt" im dortigen Erdgeschoss, in dem sich junge Männer die Haare auf Magdeburger
Fasson stutzen ließen, wirkte da viel eher irritierend. Unnötig zu erwähnen, dass diese Kunden weder Interesse zeigten an Angela Davis monotoner
Propaganda- rede im Treppenhaus, noch an den subtilen Videoüberlegungen des Einwanderers Jun Yang über Chinarestaurants, die er im Aufenthaltsraum
des Zeltplatzes zeigte.
Das Problem der Zielgruppenverfehlung kann freilich nicht allein dieser Biennale angelastet werden - es fällt eben nur deutlicher auf, wenn eine Horde
Kulturinteressierter mit dem Busshuttle aus Berlin in diese ansonsten von allem Tourismus verschonten Dörfer einfällt und über die Wiesen und die gepflasterte
Landstraße zur Kirche und zum Traktorenstützpunkt der 1991 geschlossenen LPG stöckelt. Doch Deplatzierung war und ist ja gerade Absicht und Idee
dieses Kunstunterfangens. Immerhin hingen Fotokopien an den Fenstern, auf denen die Einwohner eingeladen waren, Kuchen zu backen und so auch ein
wenig daran zu profitieren. Sie taten es allerdings nicht.
"Das ist mein Land" knödelte eine Stimme auf Englisch zur Gitarre. Eine Kamera fährt dazu durch ein Zimmer, schnüffelt in zerwühlten Kissenbezügen in
gelb-grünem Blumendekor, tastet den Teppichboden ab, klettert an Elektrokabeln die Wand zur Steckdose hoch, wandert über die Raufasertapete um einen
Türsturz, kriecht die Schnürsenkel von einem Paar Stiefel vor einer Zentralheizung entlang, streift über die Rippen des Heizkörpers, findet eine Lampe und am
Kabel entlang wieder zurück zur Steckdose. Diese dreiminütige Videoschleife von Hans-Peter Scharlach, ausgestellt im schäbig-aufgepoppten "Kraftraum des
Jugendclubs", transformierte in ihrer unambitionierten Banalität das Thema "Heimat" zu einem Clip aus klaustrophobischer Oberflächlichkeit."Dies Land" wird
eingeschmolzen auf die Frage: Kann ich meine nächste Monatsmiete noch zahlen? Darf ich hier bleiben? In dieser Kleinheit wurde die existenzielle Frage
wieder groß und die Kunst hat doch wieder einmal funktioniert.
Zugewinngemeinschaft Medienkunst // Schauplätze: Die fünfte Werkleitz Biennale fand vom 31. Juli bis 4. August in Tornitz und Werkleitz an der Saale in
Sachsen-Anhalt statt. Bespielt wurden Konsumgebäude, Gasthof Zur Post, Kirche, Heimatverein, Bürgerzentrum, Dorfstrasse, Wiese zwischen den Dörfern,
Sportlerheim, Maschinen- und Traktorenstützpunkt, Jugendclub und Sporthalle.
Das Kuratorenteam: Jochen Becker, Reinhild Benning, Robin Curtis, Micz Flor, Stephan Geene, Merle Kröger, Brigitta Kuster, Renate Lorenz, Philip
Scheffner, Dierk Schmidt, Stefanie Sembil, Gerhard Wissner.
Programm: Ausstellungsparcour mit über 40 Medienkunstinstallationen, dazu Video- und Filmvorführungen mit Gesprächen. Zeitung 40 Seiten, zum Preis von
1 Euro.
Infos unter www.werkleitz.de.
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